«Lebenslanges Lernen muss zur Arbeitskultur werden»


09.03.20 - Fünf Fragen an Patrick Warnking, Country Director von Google Schweiz.



«Wir brauchen neues Wissen, neue Fähigkeiten und neue Medienkompetenz», betont Patrick Warnking, seit 2011 Country Director von Google Schweiz. Dabei haben die Arbeitgeber und Geschäftsleitungen eine wichtige Verantwortung zu tragen. Wie das «LifelongLearning» zur Unternehmenskultur werden kann, verrät er im Interview.

Google treibt den digitalen Wandel auf unserem Globus massgeblich voran. Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Veränderungen, mit welchen sich die Schweizer Wirtschaft in den nächsten Jahren beschäftigen muss?
Patrick Warnking: Der Schweiz bieten sich als hoch entwickeltes Land mit der Digitalisierung sehr viel mehr Chancen als Risiken. Wir müssen aber den Menschen in den Mittelpunkt stellen: Die Innovation im Geschäft muss sich im Alltag der Menschen, also der Arbeitnehmer, positiv auswirken. Es geht unter anderem um mehr Effizienz und Nutzen in den Bereichen Navigation, Mobilität, Bildung, Information, Unterhaltung, Kommunikation oder Energie. Zwei wichtige Forschungsschwerpunkte sind aus meiner Sicht die künstliche Intelligenz und die Datensicherheit beziehungsweise -verschlüsselung. Bei beiden Themen sollte sich die Schweiz das Ziel setzen, zur Weltspitze zu gehören, und entsprechend investieren. Denn die Schweiz ist prädestiniert dafür, insbesondere bei der Sicherheit und der Ethik eine führende Rolle zu spielen. Dieser Fokus sollte flankiert werden durch das Bekenntnis zu einer sehr guten Grundausbildung inklusive der Förderung der Medienkompetenz. Bei Google arbeiten wir intensiv an diesen Themen und haben uns selber ehrgeizige Ziele gesetzt, zum Beispiel bei den Prinzipien im Umgang mit der künstlichen Intelligenz.

Angesichts der grossen Geschäftslast ist es für eine Firma nicht einfach, das lebenslange Lernen mit allen Arbeitnehmern aktiv anzugehen. Wie machen Sie das bei Google Schweiz?
Bei Google ist die umfangreiche Investition in die Fortbildung der Mitarbeiter das Fundament für Innovation. Wir lassen unseren Mitarbeitern genügend Zeit, ins eigene Know-how zu investieren. Ich selbst wende auch wesentlich mehr Zeit dafür auf als noch vor einigen Jahren. So nehme ich mir mehrere Wochen pro Jahr Zeit, ja gar jede Woche, um mich mit neuen Themen zu befassen und mir Fähigkeiten anzueignen. Hier sollte jeder von uns investieren – für sich selber, mit seinen Kindern und mit seinen Arbeitskollegen. Besonders Geschäftsleitungen sollten das Thema auf ihre Agenda nehmen. Als Google Schweiz und mit Digitalswitzerland versuchen wir, einen relevanten Beitrag für den Wissensstandort Schweiz im Bereich «Digital» zu leisten. Allein im vergangenen Jahr schulte Google Schweiz im Rahmen des Programms atelierdigital.ch über 10’000 Personen – vor allem aus KMU – kostenlos zu digitalen Themen, um sie für Berufe in der digitalen Welt zu befähigen.

Stichwort «Gute Vorsätze»: Wie können Arbeitgeber das lebenslange Lernen zur Unternehmenskultur machen?
Die Schweiz als traditionell innovatives Land steht derzeit vor der immens wichtigen Aufgabe, der nächsten Generation, aber auch der arbeitenden Bevölkerung, verstärkt digitale Fähigkeiten zu vermitteln. Bildung, Forschung und Innovation bleiben aus meiner Sicht der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft in der Schweiz. In der Bildung benötigen wir drei Säulen. Wir müssen erstens mehr Nachwuchs in den MINT-Fächern fördern (Anm. der Redaktion: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), zweitens das lebenslange Lernen verstärkt zur Firmenkultur machen, drittens für Top-Talente attraktive Forschungseinrichtungen und Jobs schaffen, die im internationalen Vergleich mit der Weltspitze mithalten können. Häufig empfehle ich Geschäftsleitungen von KMU beispielsweise, firmenintern einen Videowettbewerb zu machen: 20 Mitarbeiter bilden zehn Teams, die jeweils ein Kurzvideo drehen, in dem in 60 bis 120 Sekunden das Unternehmen vorgestellt wird. Zur Produktion braucht man nur Smartphones. Die besten Filme stellt man auf die Internetseite und bittet die Kunden um Feedback. Mit sehr einfachen Mitteln kann man so die neuen digitalen Kommunikationswege testen. Das kann ein kleineres Unternehmen viel einfacher und schneller umsetzen. Das ist ein kleiner, aber feiner Anfang, um eine Lernkultur im Betrieb einzuführen.

Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf?
Die Auswahl an Angeboten für Weiterbildungen ist gerade in der Schweiz sehr gross. Das ist ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern. Aber er wird noch zu wenig genutzt. Die Plattform lifelonglearning.ch des Schweizerischen Arbeitgeberverbands und von Digitalswitzerland mit Hunderten von Weiterbildungsmöglichkeiten kennen leider noch sehr wenige Arbeitnehmer in der Schweiz. Zudem ist das lebenslange Lernen in vielen Unternehmen noch nicht in der Arbeitskultur verwurzelt. So besagt eine Deloitte-Studie aus dem vergangenen Jahr, dass mit 49 Prozent fast die Hälfte der Schweizer Bevölkerung in den letzten zwölf Monaten keine Schulung besucht hat. Und 58 Prozent der gering und mittel qualifizierten Arbeitskräfte, die nicht an Schulungen teilgenommen haben, sahen gar keine Notwendigkeit darin. Das illustriert den Handlungsbedarf. Weiterbildung hilft auch bei den Themen Sicherheit und Privatsphäre. Hier sollte jeder von uns investieren.

Wie findet ein Arbeitgeber heraus, wie er Weiterbildungen gezielt und aufs Unternehmen abgestimmt fördern kann?
Bei den meisten Unternehmen steht eine Transformation auf der Agenda. Die Chancen liegen beim Fokus auf den Kunden, bei der Innovation und der Weiterentwicklung der passenden Kultur im Unternehmen. Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten verändern sich. Es gibt mehr und neue Kanäle, um sowohl bestehende als auch neue Kunden zu erreichen. Das erfordert neues Know-how, Fähigkeiten und Ressourcen. Dazu ist eine Überprüfung der Unternehmenskultur in Bezug auf den Kundendialog, die Innovation und Weiterbildung zwingend. Oft müssen stärkere Synergien zwischen verschiedenen Abteilungen – beispielsweise zwischen dem Vertrieb, Marketing und der IT – hergestellt werden. Die Geschäftsleitung muss durch diesen Wandel führen und ein Vorbild sein. Digitale Transformation ist Chefsache, und die Menschen – also die Kunden und Mitarbeiter – müssen im Mittelpunkt stehen. Das lebenslange Lernen halte ich für den wichtigsten Erfolgsfaktor in Unternehmen, aber auch für die einzelne Person. In grossen Unternehmen würde ich statt über einen «Chief Digital Officer» lieber über einen «Chief Learning Officer» nachdenken. Wir brauchen neues Wissen, neue Fähigkeiten und neue Medienkompetenz. Hier haben die Arbeitgeber und Geschäftsleitungen eine wichtige Verantwortung zu tragen. Weiterbildung braucht Zeit, Fokus und Unterstützung, damit es für die jeweilige Industrie und Aufgabe passt. Aber auch jeder Arbeitnehmer hat eine Verantwortung, mit der richtigen Einstellung für die persönliche Weiterbildung bereit zu sein.

 

Quelle: Schweizerischer Arbeitgeberverband

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